22.06.-24.07.2011
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„hello – how are you? where do you come from? what’s your name?“ – „hallo, wo kommst du her? wie heißt du?“
jeden tag wird mir diese frage mindestens gefühlte zwanzig mal gestellt, und habe ich sie geduldig ebensooft beantwortet, folgt als nächstes: „what do you think of iran?“ – „was hältst du vom iran?“ und schon zeigt sich bei mir sofort das spezifische empfinden gegenüber diesem land, das sich mit einem wort beschreiben lässt: ambivalenz und zwar eine sehr ausgeprägte. aber der reihe nach!
nach einer bis dahin wunderbaren und erlebnisreichen tour reise ich am 22.06. vom verschlafenen grenzort astara/azerbaidschan mit einer gespannten erwartung in das lebhafte gleichnamige städtchen auf iranischer seite ein – und sofort, bereits im kontakt mit den grenzbeamten, werde ich eingefangen von der überraschenden freundlichkeit, einer auf dieser reise noch nicht erfahrenen höflichkeit und sehr respektvollen umgangsformen, dem offenen, mitunter deutlicher neugier nahekommendem interesse und einer beinah anachronistisch anmutenden ehrlichkeit, mit denen sich die menschen im iran auszeichnen – ein völlig anderes bild als das uns vertraute der fahnen verbrennenden, „death to america! death to israel“ skandierenden, wild aufgebrachten menge, welches uns die medien gemeinsam mit bildern von in schwarzen umhängen und dem vorgeschriebenen tschador gehüllten frauen in recht einseitiger darstellung vermitteln.
und sehr schnell wird deutlich, wie sehr doch mark twain mit dem von mir bereits zitierten wort „reisen ist tödlich für vorurteile“ recht hat. mir sind in der tat noch nirgendwo in der welt liebenswürdigere und charmantere, respektvollere und warmherzigere menschen begegnet als hier im iran, menschen, die einen ausländischen gast, egal welcher nationalität!, einzuladen, zu bewirten und beherbergen als eine ehre betrachten und sich dabei völlig unbeeinflusst und unbeeindruckt zeigen von der offiziellen, feindseeligen rethorik des regimes gegenüber dem westen, vor allem den usa.
- da ist der junge geldwechsler, der – zunächst von mir nach dem verwirrenden und deshalb meinerseits abgebrochenen geldumtauschvorgang auf der straße von astara des diebstahls mir plötzlich fehlender 20 azeri-manat (knapp 20 euro) verdächtigt – 15 minuten später in der von mir aufgesuchten wechselstube auftaucht und mir unter entschuldigungen die versehentlich einbehaltenen 20 manat zurückgibt.
- oder vorher die fröhlichen grenzbeamten, die mir während der erfreulich lockeren und zügigen grenzabfertigung auf iranischer seite mir bis dato unkekannte, frische früchte schenken.
- oder der lustige ali im kleinen ort bahrmaran, der mich im teehaus an der hauptstraße in seinen kreis teetrinkender alter männer und zum essen einlädt.
- oder der imbiss-besitzer bahador aus rasht, der sich am ende eines furchtbaren regentages nicht nur weigert, die bezahlung meiner zwei hungrig verschlungenen mahlzeiten entgegenzunehmen, sondern etwa eine stunde später an meinem mir von der polizei zugewiesenen, von mir freudig angenommenen trockenen schlafplatz an der moschee erscheint und – schließlich erfolgreich – insistiert, mich zu sich nach hause einzuladen, wo ich dann zwei herrliche tage lang die ungemein großzügige gastfreundschaft in seinem gepflegten haus und im kreise seiner großen, äußerst liebenswürdigen familie erleben darf.
- oder die kurdischen nomaden im nordosten irans, die uns trotz ihres sehr bescheidenen lebens freudig in ihr zelt zum essen und schlafen einladen und uns an ihrem von stammesbräuchen und den bedürfnissen ihrer schafherden, ziegen, truthähne etc. bestimmten alltag teilhaben lassen.
- oder, oder – der beispiele gäbe es noch viele mehr
diese erlebnisse erzeugen in verbindung mit dem entdecken der vielfältigen zeugnisse der jahrtausendealten kultur persiens, mit ihren hochentwickelten handwerklichen fertigkeiten und künsten, kulturellen und technologischen leistungen ein wesentlich vielschichtigeres bild und großen respekt vor einer nation und einer gesellschaft, die zu leichtfertig und geradezu unverantwortlich der „achse des bösen“ zugeordnet wurde.
dabei ist nicht unbedingt die hektische und chaotische, wenig attraktive, aber von freundlichen menschen bewohnte hauptstadt teheran repräsentativ; vielmehr sind es orte wie die von mir auf einer mehrtägigen flug- und bus-exkursion besuchten stätten:
- shiraz, einst eine der größten städte der islamischen welt und heimat großer dichter des landes wie hafez und sa’di sowie anderer bedeutender künstler, mit seiner festung arg-e karim khan im zentrum, dem beeindruckenden mausoleum aramgah-e shah-e cheragh, dem historischen bazar und zahlreichen prachtvollen moscheen und bädern
- die in teilen erstaunlich gut erhaltenen ruinen von persepolis, der vor als mehr 2.500 jahren von darius I. gegründeten, von seinen nachfolgern, darunter xerxes sowie artaxerxes, erweiterten und 190 jahre später von alexander d. gr. schließlich wieder zerstörten stadt
- isfahan, die perle persiens, mit dem überwältigenden imam platz, einem der größten plätze der welt, und seinen einzigartigen moscheen, brücken sowie dem lebhaften bazar
- kashan mit seinen größtenteils aufwändigst restaurierten palastartigen historischen häusern, dem fin garten und der alten stadtmauer
aber auch der besuch historischer ländlicher orte wie musaleh (leider in’s wasser gefallen), abyaneh und kang oder einiger der, regierungsseitig nur ungern gesehenen, rund 1-1,5 mio. nomaden, die fahrt am rande der glühend heißen wüste dasht-e kavir (bis zu 52°c!) entlang der historischen seidenstraße mit ihren lehmhütten-orten und karawansereien unterhalb mächtiger kahler gebirgszüge sowie das erleben des alltags in den vielen durchradelten kleinen namenlosen orten und städten auf meiner route sowie der tief verwurzelten, von den regimeseitig auferlegten zwängen und ritualen unabhängigen, sich beim besuch der pilgerstätten in shiraz und mashhad in besonders eindrucksvoller weise äußernden religiosität tragen zu einem kompletteren und differenzierteren bild des iran bei.
angesichts meiner so gewonnenen eindrücke und erfahrungen um die großen werte und tradition dieser nation schmerzt umso mehr das erleben stark eingeschränkter persönlicher freiheiten und fehlender möglichkeiten der individuellen entwicklung der menschen. eingeengt in ein korsett regimeseitig vorgegebener und mit großer stringenz umgesetzter und überwachter, religiös motivierter, letztlich aber der machterhaltung dienender codices und normen – versuchen sie vielfach, die ihnen gesetzten grenzen auszureizen, erkennbar z. b. bei kleidung und styling junger städtischer frauen oder beim unterlaufen offizieller verbote im privaten, häuslichen bereich; oder sie begeben sich in die innere oder zunehmend auch äußere emigration und tragen so zu einer aushöhlung gesellschaftlicher und kultureller leistungsfähigkeit bei.
der „brain drain“, der abfluss gut ausgebildeter, meist junger menschen in das westliche ausland, aus einem land, das ihnen mangels entsprechender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher entwicklung keinerlei aussicht auf beruflichen erfolg, noch auf ein ihren vorstellungen entsprechendes freiheitliches leben gewährt, ist zu einem ernsthaften problem des iran geworden.
die mehrheit scheint auf die verhältnisse mit verbitterung oder gar zorn, aber auch einem großen maß an resignation zu reagieren. dennoch wird erstaunlich offen und nur selten erst nach anfänglich vorsichtigem vortasten in gesprächen kritik an den zuständen, der offiziellen politik, dem regime und den religiösen wie weltlichen führern geäußert – ob im diskreten kleinen kreis, im taxi oder gar sehr öffentlich im bazar.
das alles trübt mein ansonsten ausnahmlos positives bild des iran erheblich, wozu nicht entscheidend, aber eben doch typisch die zu keinem moment begründete, in der tonality zwar freundlich, aber mit versteckten fangfragen gespickt und dem sichten all meiner fotos und gps-daten durchgeführte zweistündige vernehmung durch die polizei in garmsar beiträgt. das zum thema ambivalenz! – und dazu passt dann auch die zweite begegnung mit der polizei, tatsächlich nur 1,5 stunden nach dem verhör, die mich („nicht schon wieder!“) auf dem highway anhält – auf ein glas eisgekühltes wasser und einen halbstündigen plausch mit dem fließend englisch parlierenden, sehr sympathischen und charmanten polizei-offizier.