16.08.-07.09.2011
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CCCP – diese vier kyrillischen buchstaben malt der fast zahnlose, ausgemergelte alte mann in dem kleinen ort auf der strecke von kalaikhum nach khorog, dem ersten abschnitt auf dem spekatakulären pamir highway, in den straßenstaub, streckt den daumen in die höhe und sagt: „хорошо́!“ (khoroschó = russisch für ‚gut‘). er ist, wie viele in tadschikistan, ohne zweifel einer der vielen verlierer des zerfalls der ehemaligen udssr und der anfang der neunziger gewonnenen und vor wenigen jahren noch durch blutige konflikte zwischen den verschiedenen volksgruppen erschütterten unabhängigkeit tadschikistans.
einst teil einer großen wirtschaftsmacht, die für vollbeschäftigung, ausreichende versorgung und einigermaßen funktionierende infrastruktur sowie eine gewisse wirtschaftliche, gesellschaftliche wie politische stabilität sorgte, gehört tadschikistan heute zu den 30 ärmsten ländern der welt. 70 % seiner 7,5 millionen einwohner leben von weniger als 2 us-$ pro tag, ein lehrer verdient 50 euro im monat, und ohne die laufende millionenschwere unterstützung der aga khan foundation könnte ein großteil der im land verbliebenen tadschicken nicht überleben bzw. wären viele infrastruktur-maßnahmen wie brücken- und straßenbau nicht finanzierbar.
nach dem wegfall des sie alle umsorgenden mütterchens russland, als lediglich 16 % des eigenbedarfs an agrarprodukten im land selbst erbracht wurden, mussten erst mühsam know-how und ressourcen für eine langfristig von importen unabhängige eigenversorgung aufgebaut werden – ohne internationale hilfe und die aga khan foundation unmöglich. heute, zwanzig jahre später, liegt die rate bei über 80 %, und die entwicklung international wettbewerbsfähiger produkte und/oder dienstleistungen wie z. b. die zukunftsträchtige tourismusindustrie steckt noch in den kinderschuhen.
ein in manchen belangen ernüchterndes bild im vorfeld der feiern zum 20. jahrestag der unabhängigkeit am 09. september. überstrahlt wird all dieses für den besucher tadschikistans jedoch durch drei dinge:
- die in allen zentralasiatischen ländern bereits erfahrene freundlichkeit und gastfreundschaft der menschen
- den exotischen anhauch einer bereits vergangen geglaubten welt abseits vom hochglanz kapitalistischer gesellschaften und der alles nivellierenden westlichen kultur
- die einmalige und überwältigende schönheit einer ursprünglichen natur, die sich im pamir hochland, dem dach der welt, oder dem wakhan tal entlang der afghanischen grenze in einzigartiger weise zeigt.
der grenzübergang von usbekistan verläuft überraschend problemlos, die erste nacht im zelt in unmittelbarer nähe des drittgrößten aluminiumwerks der welt bei tursunzoda reichlich staubig und die fahrt nach dushanbe, hauptstadt des landes, dank leidlich guter straßenbedingungen und rücksichtsvoller autofahrer sehr angenehm. dushanbe selbst überrascht, sieht man von den protzigen, selbstdarstellerischen monumenten und prachtbauten einmal ab, dank seiner großzügig angelegten hauptstraße rudaki mit fast südfranzösischem flair:
junge tadschiken flanieren in farbenfroher traditioneller kleidung im schatten großer platanen vorbei an kunstvoll gestalteten fassaden, familien vergnügen sich mit ihren kindern in sorgfältig gepflegten parkanlagen mit springbrunnen und blumenbeeten und einheimische wie touristen entspannen sich in schattigen straßencafes. nicht zuletzt der typische duft vom schaschlick-grill erinnert allerdings daran, dass man sich nicht in montpellier, sondern zentralasien befindet.
nach einem aus zeitgründen – begrenzung durch die visalaufzeit – und wegen der bekannt schlechten straßenbeschaffenheit gewählten jeeptransfer, beginne ich gemeinsam mit meinen mitradlern philipp und fred in kalaikhum die erschließung des pamir highways, einer der schönsten strecken der welt und der erwartete landschaftliche höhepunkt meiner reise. bereits unmittelbar nach dem start am ersten tag erfasst mich angesichts der wildheit der landschaft eine ungeheure euphorie.
zwischen hochaufragenden bergen mit steilen, nackten braunen felswänden, zwischen denen gletscherbedeckte gipfel im sonnenlicht blinken, tost der breite grenzfluss panj in mächtigen kaskaden und schäumenden stromschnellen, immer wieder gespeist von sich in wasserfällen herabstürzenden nebenflüssen. um ihre mündungen schmiegen sich oasengleich kleine orte, den wasserreichtum über von hand angelegte kanäle für bescheidenen ackerbau und weideflächen nutzend. hier bietet sich immer wieder die gelegenheit zu einer kleinen verschnaufpause und – trotz der schwierigkeit in der verständigung – einem schwätzchen mit den einen lokalen dialekt sprechenden einwohnern.
entlang des westlichen, afghanischen ufers windet sich ein nahezu unwegsamer in den fels gehauener steiler pfad, über den schwerbepackte eselkarawanen und einzelwanderer güter transportieren zwischen den orten mit ihren braunen lehmhütten in typischer flacher bauweise sowie kleinen weide- und ackerflächen, auf denen ochsengespanne die mühsame bestellung verrichten. und immer wieder grüßen uns über den fluss hinweg freundlich winkende menschen.
in khorog, dem geschäftigen handelsplatz und verkehrsknotenpunkt des pamir, fällt die entscheidung für die route durch das wakhan tal, an der wir auch festhalten, nachdem uns philipps magen/darmerkrankung eine mehrtägige zwangspause auferlegt, die uns leider auch den besuch des afghanischen samstagsmarktes bei iskesham versagt, den man ohne visum besuchen kann. so verbleiben uns für die restlichen rund 650 km über die mit insgesamt fünf gebirgspässen von deutlich oberhalb der 4.000 m marke gespickte anspruchsvollste strecke meiner route gerade mal 13 tage. wir freuen uns drauf!
aber da weiß ich noch nicht, was mich erwartet, denn die fahrt durch das wakhan-tal sollte sich als eine härteprüfung besonderer art herausstellen: eine fahrt über extrem schlechte straße, die mitunter tagesetappen von nicht mehr als 35 km erlaubt, mit langen, tiefen sandigen passagen oder losem grobem schotter, mit äußerst steilen anstiegen und tiefen, großen schlaglöchern in den viel zu seltenen asphaltabschnitten. da erfordert das radeln ständige konzentration und wird zum kampf um jeden meter und das wiederholt unerlässliche schieben zur zusätzlichen qual. aber dennoch prägen sich nachhaltig großartige landschaftsbilder und eindrücke in mein bewusstsein:
- der sich aus dem zusammenfluss von pamir und wakhan bildende, hier im oberlauf immer noch mächtige panj mit seinen grauen fluten, die sich abwechselnd durch enge schluchten und weite täler winden.
- die jenseits des flusses auf der südlichen, afghanischen seite hoch aufragenden gletscherbedeckten und von wolkengebirgen umgebenen gipfel des hindukush.
- hier die kargen felsengebirge am fuße des pamir, an die sich um steil herabstürzende gebirgsbäche kleine armselige orte schmiegen, in denen dunkelhäutige, freundliche pamiri mit schaf-, ziegen- und rinderzucht ein bescheidenes und abgeschiedenes leben führen.
- friedlich, in fast majestätischer ruhe, auf den uferwiesen des pamir weidende trampeltiere, die stark bedrohten wildlebenden altweltkamele.
- idyllische zeltplätze auf kleinen wiesenflächen am rande munter sprudelnder bäche mit klarem, gesunden gebirgswasser.
der anstieg von langar auf den ersten der insgesamt fünf > 4.000er pässe, den kargush-pass (4.344 m), wird zum bis dahin anstrengendsten akt meiner reise. die ersten, sehr steilen und sandigen serpentinen aus dem ort hinaus sind ohne anschubhilfe der dorfjugend garnicht zu bewältigen, und der bald einsetzende regen, temperaturen bei 4°c und 10-15 km durch tiefste sandstrecke lassen die zwei tagesetappen bis ca. 10 km vor den pass bereits nach jeweils gut 30 km enden.
die fahrt über den pass – bei der abfahrt läuft mir tatsächlich ein exemplar des äußerst seltenen und sehr scheuen pamir schneeleoparden über den weg! – führt zurück auf den bei khorog verlassenen pamir highway und in das absonderliche städtchen alichur, einst ein stützpunkt der roten armee, das sich – überwiegend von kirgisen bewohnt, die männer erkennbar an ihren auffällig hohen hüten – durch seine großartige lage und die nette gastfamilie im zur übernachtung gewählten homestay einprägt.
weiter geht die fahrt vorbei an einzelnen jurten in der weiten, fruchtbaren alichur-senke über den kaum spürbaren najzatos-pass (4.314 m).
in murgab, mit seinem eigenartigen, aus alten containern bestehenden basar, beginnt nach einem ruhetag der angriff auf den mit 4.655 m höchsten punkt meiner reise, den akbaital-pass. am zweiten tag ist auch das geschafft – nach 76 km, 1.800 kumulierten und > 1.000 netto-höhenmetern, wohlgemerkt mit +/- 40 kg gepäck und in dieser höhe! und nach unerwartet mühsamer abfahrt verzaubert am auf 4.020 m gelegenen malerischen karakul-see das spiegelbild des 7.134 m hohen pik lenin massivs.
nun warten ’nur‘ noch, so meine ich, der ‚kleine‘ uybulok- (4.232 m) und der grenzpass kyzyl-art (4.290 m), die sich jedoch beide als schwere hürden vor dem grenzübertritt nach kirgisistan herausstellen, denen allerdings eine besondere belohnung folgen sollte…